Wie können Jugendliche für internationale Politik begeistert werden? Die eindrückliche Antwort der diesjährigen „Zeitenwende on tour“-Dialogveranstaltung in Gütersloh: Wenn die jungen Menschen ernstgenommen werden, eine Bühne für ihre Fragen und Erfahrungen bekommen und ihnen so ein offener Austausch ermöglicht wird, diskutieren sie trotz unterschiedlicher Meinungen angeregt über globale Konflikte und deren Auswirkungen auf ihren Alltag.
Vier Schulen aus Gütersloh, Rietberg und Paderborn nahmen am Montagnachmittag, 23. Juni, mit rund 150 Jugendlichen an der von der Liz Mohn Stiftung und der Münchner Sicherheitskonferenz zum dritten Mal organisierten Townhall-Konferenz in den Räumlichkeiten der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh teil.
In ihrer Begrüßung erläuterte Liz Mohn, Vorsitzende des Vorstands der nach ihr benannten Stiftung, den Schülerinnen und Schülern die Bedeutung des länderübergreifenden Austauschs und des Interesses an internationalen Zusammenhängen: „In unserer zerrissenen Welt brauchen wir wieder ein Kennenlernen und eine Annäherung über Kulturen und Religionen hinweg. Wir müssen gerade jetzt Brücken bauen und keine Mauern.“
Thematisch konzentrierte sich die Diskussion in diesem Jahr auf die schwierige Situation in zwei Staaten: Ukraine und Syrien. Aber auch die jüngsten Entwicklungen im Iran sorgten für aktuelle Nachfragen. TV-Moderatorin Nina Moghaddam leitete wie im Vorjahr die Dialogveranstaltung und spannte gleich zu Beginn den Bogen von den Angriffen im Iran zu ihrem Privatleben: „Jeden Abend schreibe ich meiner Familie dort, um zu wissen, ob es meinen Verwandten gut geht. Morgens checke ich dann sofort nach dem Aufwachen mein Handy auf Antworten.“
Der andauernde russische Angriffskrieg auf die Ukraine beschäftigte die jungen Menschen auf der Bühne und im Publikum offensichtlich. Friedensnobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk erzählte per Liveschaltung aus Kyjiw eindrücklich von dem russischen Bombenangriff auf die ukrainische Hauptstadt in der vorangegangenen Nacht.
Sicherheitsexperte Nico Lange diskutierte im Anschluss auf der Bühne mit vier Schülerinnen und Schülern aus Gütersloh, Rietberg und Paderborn über die Rolle Deutschlands im Ukraine-Krieg und die unübersichtliche Lage in Syrien nach dem jahrelangen Bürgerkrieg. Zur Dynamik des Gesprächs trug das Bühnendesign der „Zeitenwende on tour“ im Arena-Format mit einem rundherum platzierten Publikum bei.
Die aktuelle Weltlage wurde für drei junge Menschen auf der Bühne zu einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der Weltpolitik: Arash Azimi berichtete emotional von seiner Flucht als kleiner Junge mit seiner Familie aus Afghanistan. Vladyslava Matiss verließ die Ukraine 2022 und gründete nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Verein zur Vernetzung von Jugendlichen, die wie sie aus der Ukraine stammen. Moaiad Habboub kam vor neun Jahren aus Syrien nach Deutschland. Er wollte so vermeiden, in die syrische Armee unter Diktator Assad eingezogen zu werden. Nach seiner Flucht über die Türkei und die Balkanroute lebt er seit 2015 in Deutschland, hat mittlerweile einen deutschen Pass und ist dualer Student am Bertelsmann-Berufskolleg. Liz Mohn würdigte die Leistung dieser Jugendlichen besonders: „Ich habe große Achtung vor dem, was diese jungen Menschen in nur wenigen Jahren in Deutschland erreicht haben.“
Besonders interessant wurde die Townhall-Diskussion, als die Schülerinnen und Schüler auch kontroverse Meinungen mit dem Plenum teilten, beispielsweise ob Deutschland die Ukraine weiterhin unterstützen sollte oder ob die Jugendlichen selbst im Verteidigungsfall zur Waffe greifen würden. Auch die thematischen Überschneidungen der verschiedenen Konflikte schufen eindrückliche Augenblicke: „Für mich war der russische Angriff auf die Ukraine ein sehr emotionaler Moment“, erzählte Moaiad Habboub den anwesenden Jugendlichen, „denn ich war aus dem Krieg in Syrien ins sichere Deutschland geflüchtet. Und plötzlich war Krieg in Europa. Ich konnte tagelang nicht durchschlafen.“
Nach der 90-minütigen Dialogveranstaltung war der Austausch noch nicht vorbei: Die anwesenden Schülerinnen und Schüler diskutierten an Themen-Tischen im Foyer des Gebäudes mit Fachleuten der Bertelsmann Stiftung angeregt weiter und nutzten die Chance, Fragen zu stellen, für die es in der Diskussion keine Zeit gab.
Die Konferenz „Zeitenwende on tour” führte die Liz Mohn Stiftung in diesem Jahr zum dritten Mal gemeinsam mit der Münchner Sicherheitskonferenz in Gütersloh durch, dieses Mal mit Schülerinnen und Schülern der Friedrich-Spee-Gesamtschule Paderborn, der Richard-von-Weizsäcker-Gesamtschule Rietberg sowie des Evangelischen Stiftischen Gymnasiums und des Bertelsmann-Berufskollegs in Gütersloh. Die Konferenzreihe der Münchner Sicherheitskonferenz tourt seit 2022 durch ganz Deutschland und ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern im ganzen Land die offene Diskussion über die aktuelle deutsche Sicherheitspolitik. Das Alleinstellungsmerkmal in Gütersloh ist das Alter des Publikums: Hier richtet sich das Townhall-Event explizit und exklusiv an Schülerinnen und Schüler, um Jugendlichen in diesem Format eine Stimme zu geben